Texte & Notizen
Über das Unterrichten
Ob ich ihr kurzfristig „Klavierspielen wie man Auto fährt“ beibringen könne, fragte mich einmal eine erwachsene Anfängerin. Wenn das so leicht ginge, sich nur auf das Ziel zu konzentrieren und an nicht an das „Wie“ denken müssen! Kommt man dem Ziel beim Musikmachen aber auch wirklich näher wenn alles wie von selbst läuft?
Ich hatte in meiner Lehrpraxis sehr oft mit Studierenden zu tun mit einer weitgehend bereits gefestigten Art zu spielen; sie hatten sich in ihrer Art zu spielen eingerichtet und doch oft ein Gefühl von Unbehagen, etwas stimme noch nicht ganz. Manchmal hatten sie auch dieses Gefühl nicht und ich musste ihnen sagen, daß irgendetwas nicht ganz stimmte.
Ich habe dann selten dazu geraten sozusagen die Reset-Taste zu drücken, um noch einmal ganz von vorn anzufangen, nach der „richtigen Methode“. Das kann sehr lange dauern und der Leidensdruck muss schon sehr hoch sein, um vom konzertierenden Spieler noch einmal zum Anfänger zu werden. Die Erfolgsaussichten liegen auch nicht immer bei 100 Prozent. Ich bin gar nicht überzeugt, dass es diese Methode tatsächlich gibt. Es gibt so viele Arten, gut Klavier zu spielen. Sehr oft reichen gezielte Hinweise um Erleuchtungen zu bewirken:
Bewusstheit von Körper und Bewegungen erlangen, Zuhören können, Anschlagsarten lernen....
Und vor allem: die Musik verstehen und erleben.
So bestimmt der Schüler selbst die Methode. Er ist die Methode.
Interpretation oder Reproduktion.
Zur Aktualität der Aufführungspraxis der zweiten Wiener Schule
... Abstract einer Vorlesung und Publikation, Köln 2014
I. Die Interpreten der 2. Wiener Schule
Unter 2.Wiener Schule versteht man den Kreis der Schüler und Freunde Arnold Schönbergs , der sich ab 1904 in Wien gebildet hat. Im engeren Sinn gehören dazu Alban Berg und Anton Webern; zum erweiterten Kreis zählen aber neben weiteren Kompositionsschülern Schönbergs auch Interpreten; eine herausragende Stellung nahmen hier der Pianist Eduard Steuermann und der Geiger Rudolf Kolisch ein. In dem 1918 von Schönberg in Wien gegründeten „Verein für musikalische Privataufführungen“ wirkten sie maßgeblich an zahlreichen Aufführungen zeitgenössischer Musik mit und entwickelten eine eigene Aufführungspraxis, die sie als Lehrer und Publizisten in Praxis und Theorie weitergaben. Der Philosoph und Komponist Theodor W. Adorno, ebenfalls dem Schönbergkreis angehörend, hat die Ästhetik der Aufführungslehre der Wiener Schule in Skizzen zu einer „Theorie der musikalischen Reproduktion“ am prägnantesten formuliert.
II. Die wahre Aufführung und ihre Kriterien.
Kern der Aufführungstheorie der Wiener Schule ist die utopische Idee der wahren Aufführung.
Die wahre Reproduktion ist die Röntgenfotografie des Werkes. Ihre Aufgabe ist es, alle Relationen, Momente des Zusammenhangs, Kontrastes, der Konstruktion, die unter der Oberfläche des sinnlichen Klanges verborgen liegen sichtbar zu machen– und zwar vermöge der Artikulation eben der sinnlichen Erscheinung. T.W.Adorno Aufzeichnungen
Die Elemente einer musikalische Reproduktion sind: eine genaue Analyse, das technische Können, das Mimetische.
Zum Klang: Klarheit und Deutlichkeit sind die Kriterien des „guten Klangs“, nicht zu verwechseln mit „Wohlklang“. Die Qualität des Tones steht im Dienst der Struktur.
Zu Tempo und Charakter: Das Tempo ist integraler Bestandteil des Werks und bestimmt wesentlich den Charakter mit. Eine bewusste Tempogestaltung (auch mit Hilfe des Metronoms) schließt aber das rubato mit ein: das dynamisch bewegte Tempo, das Wiener Rubato.
Zum Text: Der Notentext ist die verbindliche Grundlage der Reproduktion von Musik. Aber er ist: keine Anweisung zur Aufführung, keine Fixierung der Vorstellung, sondern die notwendig fragmentarische, lückenhafte, der Interpretation bis zur endlichen Konvergenz bedürftige Notation eines Objektiven. T.W.Adorno Aufzeichnungen
Zur Analyse: Ausgehend von einem notwendigerweise subjektiven Blick soll die objektive Struktur des Werkes offengelegt werden. Das Ziel einer sinnlich erfahrbaren Aufführung im Blick erstreckt sie sich auf alle subkutanen, d.h. unter der klingenden Oberfläche liegenden Elemente der Komposition. Sie schließt auch ein den verborgenen mimetischen Ausdruck der Komposition und das espressivo.
Carl Czerny : Pianist, Komponist, Lehrer und Herausgeber
... Abstract zu Vorlesungen in Köln und Seoul. 2012
Carl Czerny war eine wichtige Persönlichkeit zu Beginn des sogenannten Goldenen Zeitalters des Klaviers. Obwohl kein wirklich großer Komponist hatte er durch seine didaktischen Werke, seinen Unterricht und seine Schüler immensen Einfluss auf die Kunst des Klavierspiels. Er war persönlich verbunden mit den beiden wichtigsten Klavierkomponisten des 19. Jahrhunderts, Beethoven und Liszt (als Schüler und Lehrer) und seine ästhetischen Überlegungen zum Klavierspiel zeigen ihn als Verbindungsglied zwischen Klassik und Romantik. Seine Lehrmethode fußte auf den klassischen bürgerlichen Tugenden Fleiß, Hingabe und dem Motto “Per aspera ad astra“. Eins seiner wichtigsten pädagogischen Mittel war Wiederholung, sein erklärtes Ziel aber immer musikalische Vollkommenheit und Schönheit.
I. Pianist
Beginn als Wunderkind, Schüler Beethovens, machte aber keine Karriere; auch später kaum öffentliche Auftritte wegen hohem Lampenfieber und wenig Zeit zum Üben. Ob er wohl seine eigenen Werke spielen konnte?
II. Komponist
Mehr als 800 veröffentlichte Werke, davon nur 10% didaktische Kompositionen. Darunter Kammermusik, Sinfonien, Messen, 10 Klaviersonaten; eine Menge brillanter Virtuosenmusik wie Variationen, Rondos, Opernparaphrasen. Er arrangierte beliebte Stücke anderer Komponisten für bis zu 8 Pianisten und komponierte selbst Musik für Klavier zu sechs Händen. Seine pädagogischen Werke wie Schule des Virtuosen, Schule der Geläufigkeit, 160 achttaktige Übungen, Schule des polyphonen Spiels etc. werden bis heute verwendet.
III. Lehrer
Neben Franz Liszt und Theodor Leschetizky (beides seine eigenen Schüler) war er wohl der erfolgreichste Lehrer in der Geschichte des Klavierspiels. Er unterrichtete seit seinem 15. Lebensjahr. Sein berühmtester Schüler neben Liszt war dessen Rivale Sigismund Thalberg. Zu seinen eigenen Lehrern und Vorbildern gehörten der Mozart-Schüler Johann Nepomuk Hummel, Muzio Clementi und Antonio Salieri; wichtigste Person in seinem Leben war allerdings Beethoven. Seine Methodik basierte auf dem systematischen Aufbau einer Technik des Fingerspiels, trainiert durch wiederholtes Spiel von Tonleitern und Arpeggios, wie es den zeitgenössischen Instrumenten (Hammerflügel, Fortepiano) entsprach. Die Finger als einzig bewegliche Teile, Arm Hangelenk und Körper bleiben wesentlich passiv. (N.B. Diese Technik wird heute kaum noch gelehrt; die Beteiligung des ganzen Körpers am Klavierspiel wurde erst 70 Jahre später beschrieben durch J.M.Breithaupt.) Wichtigstes Lernmittel ist Wiederholung. Eine Zusammenfassung seiner Lehrmethode bietet die „Vollständige theoretisch praktische Pianoforteschule op.500“ in vier Teilen: Technik, Musiktheorie, Vortragslehre und ein Führer zur richtigen Interpretation der Werke Beethovens. Mit zahreichen Beispielen versehen, bietet er hier eine Art Zusammenfassung aller bisher erschienen Klavierschulen und speziell im 3. Teil („Von dem Vortrage“) eine grundlegende Ästhetik des Musizierens für die erste Häfte des 19. Jahrhunderts. Sie hat für dieses Jahrhundert ähnliche Bedeutung wie C.Ph.E.Bachs „Versuch über die wahre Art das Pianoforte zu spielen“ für das 18. Jahrhundert hatte. Bemerkenswert modern (Unterricht über Medien!) sind seine „Briefe an eine Junge Dame“, eine Art Klavierunterricht aus der Ferne via einer Serie von Briefen.
IV. Herausgeber
Czerny war beteiligt an einer der ersten Gesamtausgaben der Werke J.S.Bachs (WK I+II. Kunst der Fuge etc.) Seine Methode war allerdings wenig wissenschaftlich und sehr subjektiv indem er dem Notentext zahlreiche Spielanweisungen hinzufügte („.....so wie ich mich erinnere, dass Beethoven sie spielte“); heute von nur historischem Interesse sind seine Bearbeitung von Scarlatti-Sonaten.